Rockmusikwünsche, Phantasie, Nonsenswünsche, Farbenräusche, Aggressionswünsche und Ramba-Zamba sind angesagt. So viel Wunscherfüllung ist ausserhalb der ROCKY HORROR PICTURE SHOW, zwischen den einbetonierten A- und B-Ebenen der tristen Grossstädte, nicht zu haben. Für jeden etwas ist dabei, und keiner muss nach Tiefsinn graben. Der Film ist wie ein Fest im tiefsten Alltag, das Kino die Kneipe, zwei Stunden nächtlicher Karneval in einem orgiastischen Raumschiff aus der Galaxie Transylvanien.

Die wüste Anmache, schon in der Eingangssequenz des Films von blutroten ÜberLippen versprochen, erfüllt sich. Was danach als Bilderflut über die Zuschauer hereinbricht, ist unmoralisch, originell, vulgär, kitschig, klatschbunt. In einem Kompendium der Trivialmythen werden Bruchstücke aus dem Horror-Gewerbe, Rock'n'Roll-Verrücktheiten, Action, Sex, Grand Guignol und Nachtclub-Attraktionen aufgeblättert. Vorbilder werden respektlos beraubt. Lauter phantastische Seifenblasen schillern auf der Leinwand.

An dem rauschenden Fest in dem rockigen Spukschloss des Films, bevor es am Ende in Richtung Universum abhebt, nehmen die Kultisten im Kino wie geladene Gäste feuchtfröhlich teil. Kino, sonst gemeinschaftliche Einsamkeit, wird zur Kollektivparty. Das Mitmachen in Wort und Tat ist Teil des Films, ist ein zweites Szenari um im Saal . Aus dem Platzmangel der New Yorker Premierenbühne geboren, die einen Teil der Handlung des Theaterstücks in den Zuschauerraum verlegen musste, ist das Mitmachen längst Teil des Kultes eines Volksfest-Kinos geworden.

Verwegen kostümiert und geschminkt wie ihre Ebenbilder auf der Leinwand werfen die Zuschauer Reiskörner, wenn das Hochzeitspaar erscheint; Wunderkerzen flammen auf, sobald Brad und Janet das Licht im Schloss besingen; das Diner wird aus vollen Flaschen mitgefeiert; regnet's auf dem Spukschloss, dann auch, aus Spritzpistolen, im Parkett. Und wenn die Standardkommentare aus dem Publikum die Leinwandhelden in überraschende Dialoge verwickeln, sitzen die Fans mitten im transylvanischen Kongress.

Der 'Transylvanische Jahreskongress' dieses Kultfilms ist die Subkultur, wie sie sich selbst sieht und sein möchte. Das hygienische Paar Brad und Janet mit seinem Mittelmass-Sex, das sind die Fans - vor dem Eintritt in die ausschweifenden inneren Kreise der freiheitlichen 'Szene'. Zeremonienmeister Frank N. Furter und seine Kreaturen besingen das Lebensgefühl, in einem Getto anarchistisch die Moral zu untergraben: Alles ist erlaubt, wenn es nur scharf macht. Fans der ROCKY HORROR PICTURE SHOW nehmen nichts ernst, auch die grossen Gefühle nicht. Wer den Spass ernst nimmt, missversteht die durchgedrehten Hüter dieses neuen Kapitels Kinogeschichte. Er kennt das Rocky-Horror-Zeitalter nicht. Und nicht das Kino als modernes Kleintheater der Rituale, das in der Tradition von Kirchenmesse und Geheimbund-Zeremoniell den Wunsch befriedigt, irgendwo dazuzugehören.

aus: KULTFILME, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1983


Rundliche Teenies in Plastikbadesandalen, Augen düster umrandet, extravagantes Strähnchen im Haar, schwarzlackierte Fingernägel, eine zackige Narbenlinie auf die Wange geschminkt, die violetten Hosen mit Reissverschlüssen und Sicherheitsnadeln dekoriert. Ob sich das nun als 'Punk', 'New Wave' oder einfach 'total ausgeflippt' versteht, Frank N. Furter Tim Curry, Riff Raff und Magenta gehören genauso dazu wie absonderliche Sonnenbrillen, abgewetzte Turnschuhe und Micky Maus.

In THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW finden sich viele Elemente der visuellen Selbstdarstellung von Jugendlichen. Die Darsteller wurden zu Stars, die Filmmusik zum Hit, die Handlung zum Gesprächsstoff. Der Film wurde zum Kassenschlager und Dauerbrenner. Er spukt durch die bunten Jugendmagazine genauso wie durch die kindlichen Köpfe eben erst der Heidi-Lektüre entwöhnter Schülerinnen. Solche Hingabe und Begeisterung verdient Aufmerksamkeit; der Streifen, der sie ausgelöst hat, ist sicher einer eingehenderen Betrachtung und Überlegung wert.

Die Handlung präsentiert sich als Folge von revueartig gereihten Szenen - hier wird die Entwicklung aus dem Musical 'Rocky Horror Show' erkennbar, das 1973 in London Premiere hatte. Brad und Janet, zwei als Verlobte im American Way of Life zwischen College und Begräbnis stromlinienförmig eingepasste 'Ike-Age-Kids', geraten zufällig in den alljährlich stattfindenden Kongress des Planeten Transsexual aus der Galaxis von Transylvanien. Die Transylvanier haben sich für ihr Vereinsleben ein neugotisches Schloss mit Türmen, Erkern, Zinnen, grossen Treppen, Sälen und geheimen Gängen ausgesucht. Als ordentlich geplante und ausgeführte Attraktionen laufen ab: ein gemeinsames Tänzchen im Busby Berkeley-Stil mit Stepeinlage, eine wissenschaftliche Demonstration, aus der der 'ideale' Mann hervorgehen soll und eine 'Floor Show', in der vorher versteinerte Akteure 'demedusiert' werden, vor einem grossen Bühnenprospekt und schliesslich in einem Schwimmbecken auftreten dürfen. Die Vereinsmitglieder treten geschlossen in Strapsen, Korsetts und Netzstrümpfen oder mit Frack und Zylinder auf.

Nach anfänglichen Vorbehalten passen sich - wen wundert's - auch Brad und Janet dieser Kleiderordnung an. Der einzige Regelverstoss wird indes rigid geahndet: Eddie, überdimensioniertes Ergebnis eines früheren Experiments und vorbestrafter Rocker, durchbricht mit seinem Motorrad die Laboratoriumsmauer und wirbelt die morbide Gesellschaft durcheinander. Er wird vom Master, Boss und Vereinsvorsitzenden Frank N. Furter - wie einst Trotzki - mit dem Eispickel brutal ermordet. Zum Abschluss erheben sich aus dem Vorstandsgremium das Geschwisterpaar Riff Raff und Magenta gegen den Chef. Brad und Janet überleben den Showdown, das Schloss entpuppt sich als Raumschiff und hebt von unserem Planeten ab.

Der Handlungsablauf wird von Musical-Regisseur Jim Sharman flott abgewickelt. Eklektizistisch werden Elemente aus Whale's FRANKENSTEIN (Schloss, Labor, Monster etc.), Warhol's FLESH und TRASH (Superstars wie der tätowierte, homophile Joe Dallesandro), Kenneth Anger's INAUGURATION OF THE PLEASURE DOME und SCORPIO RISING zitiert. Zu einer Musik, in der Traditionen der grossen Tanzorchester der dreissiger Jahre mit dem Back Beat und der Elektrogitarre des Rock und Pop elektronisch verschnitten werden, laufen Master Tim Curry's Auftritte ab. Auf hochhackigen Schuhen, im ruinösen Tuntenhabitus an Alice Cooper, im Make up an Mick Jagger angelehnt, produziert sich ein Profi, der ernsthaft Schauspielerei studiert und in verschiedenen Shakespeare-Stücken mitgewirkt hat. Ehedem als Darsteller eines viktorianischen Jungspiessers in Jerome K. Jerome's Three Men in a Boat (TV) hervorgetreten, wird hier in Adaption totalitärer Politdramaturgie zur tragischen Führerfigur stilisiert. Wenn auch mit Perücken, löchrigen Netzstrümpfen und verwesten Fräcken, das Ensemble umrahmt prompt und in ordentlicher Formation die Darbietungen seines Idols. Trans- und Homosexuelle, Transvestiten und andere Vertreter von tatsächlich in der Gesellschaft geächteten Minderheiten agieren hier äusserst diszipliniert und streng arrangiert. Die Mehrheit fungiert als abrufbereite Staffage, darf Spalier stehen oder den Hintergrund beleben, Polonäse tanzen und sich im Finale aufs Parkett werfen. Auch wenn der Film formal wenig Neues bringt, diese Gruppierung einer ursprünglich dezentralen, auf das Ausleben individueller Eigenarten angelegten Subkultur um eine Leitfigur, diese völlige Unterwerfung unter die Gesetze von 'Ausgeflipptsein' einerseits, wie von Gefolgschaft andererseits ist ebenso neu wie beruhigend.

Ganz den Konventionen Hollywoods folgt die Darstellung von 'sex and crime'. In einem Streifen, "über den sich jedes zehnjährige Kind freuen kann" (Drehbuchautor Richard O'Brien), wird der bestialische Mord mit dem Eispickel in aller Breite und Eindringlichkeit inszeniert, schliesslich die entstellte Leiche in Grossaufnahme vorgeführt. Bei Sexszenen wallen dagegen Schleier vor der Linse, wird nach gequälten, hektischen Präliminarien eilig geschnitten oder geschwenkt. Die beschauliche Zärtlichkeit, der blumige Surrealismus der Vorbilder aus den 'underground- und blue movies' ist dem Gefühl einer steten Bedrohung gewichen.

Wenn schon nicht Laser-Gabeln unberechenbar und heimtückisch funkeln, Fernsehaugen lauern oder die Versteinerungsmaschine droht, Frank N. Furter kommt bestimmt tyrannisch und kreischend in die Idylle gesegelt. Die landläufigen Vorurteile gegen Minderheiten, Aussenseiter und sogar gegen Behinderte wie den Rollstuhlfahrer Dr. Scott werden bestärkt, wenn diese in einem fortwährenden Wechsel von effektgeladener theatralischer Selbstdarstellung und unversehens einsetzender Bosheit und Verbitterung vorgeführt werden.

Der wiederholte Sprung vom prätentiös-salbungsvollen Auftritt zum hinterrücks einsetzenden fuchtig-chaotischen Ausbruch interpretiert das Abweichende und Auffällige zum Abnormen und Perversen.

Zwischen den 'outcasts' und Freaks im Film entwickelt sich kein erkennbares Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Solidarität. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Personen (Brad und Janet, Frank und Rocky etc.) scheinen permanent unsicher und gefährdet. Immer wieder wird Vertrauen zerstört, schlägt Zuneigung jäh in Agression um. Die Darstellung gestörter Interaktionsstrukturen, des Unheils im psychischen und sozialen Bereich entwickelt sich oft zu einem bestechenden Realismus. Die rücksichtslose Behandlung, die den nach einer Autopanne Hilfe suchenden Verlobten durch die Transylvanier widerfährt, die wegwerfende Art, in der Frank beim grossen Bankett seine Gastgeberrolle erfüllt, können sich mit burlesken Grausamkeiten aus CLOCKWORK ORANGE oder Nichol's VIRGINIA WOOLF durchaus messen. Individuelle Entfremdung wird nicht mit zähnefletschendem Glamour oder triefender Symbolik kaschiert, sondern konsequent ausgelebt und demonstriert. Dieses Bestehen auf der Erfahrung der eigenen Entfremdung, der Angst und Bedrohung, der Zerstörung der Kommunikation wird von vielen Jugendlichen als wohltuende, seltene Ehrlichkeit empfunden. In einer Welt, in der die Selbstbetäubung durch krankhaften Konsum, durch Hyperaktivität von Jogging, Karriere und Abenteuertrips, durch Alkohol, Drogen oder diverse Techniken des 'human engineering' gewährleistet werden muss, ist die Artikulation des subjektiven Unwohl- und Unglücklichseins beeindruckend und wichtig. Zu einer Medienwelt, der die verbissene Positivität der Quizmaster und Moderatoren, die notorische Rechthaberei der Seriendetektive, eine allgegenwärtige, chronisch harmlose Betulichkeit zum formalen Ausweis der inhaltlichen Ausgewogenheit dienen muss, ist ROCKY... ein willkommener Kontrast. Aber: hier wird Fremdheit und Leiden zum genügsamen, unveränderlichen Selbstzweck stilisiert. Leidensfähigkeit wird zum Qualitätskriterium, zur Auszeichnung in einem Spiel, das die 'Gesunden' wie Brad und Janet braucht, um nicht in die schale Routine eines Subkultur-Vereinslebens zu verfallen. Ziel ist nicht die Aufhebung des Leidens, die Lösung der Widersprüche durch Einbringen der Träume und Phantasien in den Alltag, die Entwicklung von neuen Umgangsformen mit Behinderten und Auffälligen, sondern eine in die 'splendid isolation' führende Ausgrenzung und Abschirmung. Das tragische Selbstbild wird nicht zum Zweck der Verfremdurig und Reflexion des Alltags, das Bewusstsein der eigenen Entfremdung nicht um ihrer Aufhebung in der Diskussion und Lebenspraxis willen, sondern als elitäres und exklusives Individualschicksal vorgeführt.

So wenig ernst dieser Film zu nehmen ist, die Reaktionen des jugendlichen Publikums darauf sollten ein Anlass zu Besorgnis und Nachdenken sein. Es geht nicht an, den hier registrierten Hang nach einem Leben in der Negativ'Ität auf sich beruhen zu lassen. Mag sein, dass die militante Hoffnungslosigkeit, die aus solchen Bildern aus dem Bereich der Jugendkultur spricht, auf manchen der visuellen Kummunikation unkundigen Pädagogen 'erfrischend' wirkt. Tatsächlich ist sie ein Alarmzeichen für eine fortschreitende Resignation und Entpolitisierung, für eine latent antisoziale und antidemokratische Handlungsbereitschaft. Diese militant vertretene Hoffnungslosigkeit ist aber nicht durch die 'Nichtigkeit kosmischer Kräfte' entstanden, sondern durch Vernachlässigung, Unterforderung und Enttäuschung in den Sozialisations- und Erziehungsinstanzen. Die Flucht in die Traumwelt des Kinos, in ein System, in dem die richtige Uniform, die vereinsmässige Einordnung und der richtige 'Master' das Ausleben von Gewaltphantasien sanktionieren, geschieht nicht aus einem alterstypischen irrationalen Nihilismus, sondern aus den Erfahrungen des Scheiterns bei der Verwirklichung individueller Perspektiven in der Arbeit und Freizeit, in Schule und Elternhaus.

Die Medienpädagogik kann daher nur versuchen, die vom Film suggerierten gefährlichen Träume, Einstellungen und Werthaltungen diskursiv aufzulösen. Sie kann durch eine Analyse dieser Phantasien und einen Vergleich mit den zitierten Originalen der Filmgeschichte eine rationale Diskussion, eine aktive Auseinandersetzung mit solchen eskapistischen Visionen anregen. Sie wird aber nicht die Ursachen der Ängste und Hoffnungslosigkeit beseitigen können, deren Bewältigung in der konkreten Lebenspraxis stattfinden muss.

Albert Ottenbacher, in:
Blätter für das Filmgespräch, Institut Jugend Film Fernsehen, München